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12.08.2019

Digitale Zwillinge beschleunigen Entwicklung und Inbetriebnahme

Wird die Inbetriebnahme einzelner Baugruppen und der Gesamtanlage vorab mit ihren digitalen Zwillingen simuliert, lässt sich der Zeitaufwand für die reale Inbetriebnahme erfahrungsgemäß um rund 80 bis…

Fünf Szenarien zeigen, wie eine virtuelle Komponentenbibliothek den Testaufwand im Maschinen- und Anlagenbau weiter reduzieren kann.

Mittlerweile hat sich vielfach bestätigt, dass digitale Testsimulationen die Entwicklungsprozesse und Inbetriebnahmen im Maschinen- und Anlagenbau signifikant beschleunigen, zur Qualitätsverbesserung beitragen und Kosten senken. Die virtuellen Komponenten, Baugruppen und Anlagen bilden dabei ihre realen Vorbilder 1:1 ab, von den Parametern über die Schnittstellen bis hin zum Steuerungsverhalten. Zweierlei ist dafür nötig: ein ausgereiftes Hardware-in-the-Loop-Echtzeitsimulationssystem sowie die Komponenten und Baugruppen der jeweiligen Anlage in digitaler Form. Basisbausteine sind die einzelnen Komponenten, die dann – analog zur Realität – die Baugruppen bilden, aus denen sich wiederum die Anlage zusammensetzt. Allerdings können diese Komponenten über verschiedene Anlagenbauer und Unternehmen hinweg die gleichen sein. Es ist davon auszugehen, dass der einzelne Hersteller dieselben Komponenten in verschiedenen Anlagenkonfigurationen einbaut und dass mehrere Unternehmen identische Bauteile und Bauteilgruppen nutzen. Sogar Anlagenbauer aus verschiedenen Industriesegmenten können die gleichen Komponenten verwenden. Antriebskomponenten etwa in einer Druckanlage, einer Werkzeugmaschine oder einem Bestückungsroboter können dieselben sein. Warum also sollte man einen bereits vorhandenen digitalen Zwilling eines Bauteils nicht branchenweit nutzen – statt das Rad immer wieder neu erfinden zu wollen? Es spricht sehr viel dafür, im Maschinen- und Anlagenbau eine gemeinsame Plattform für digitale Zwillinge zu verwenden.

 

Eine Plattform für alle

Zahlreiche Maschinen- und Anlagenbauer betreiben keine eigenen Simulationssysteme inhouse, sondern greifen auf leistungsfähige Echtzeitanwendungen von Dienstleistern zurück, in denen Simulation und reale Steuerungstechnik optimal miteinander verbunden sind. Dabei werden Cloudlösungen immer beliebter, denn sie ermöglichen einen standort- und zeitunabhängigen Zugriff. Zudem können sich die Unternehmen statt auf Simulationssoftware auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und haben bezüglich des Simulationssystems keinen Pflege- und Wartungsaufwand. Unter diesen Bedingungen ist es nur folgerichtig, im nächsten Schritt eine Plattform aufzubauen. In diese sind das Simulationssystem, die Werkzeuge zur Erstellung digitaler Zwillinge und eine sukzessive wachsende Bibliothek mit virtuellen Komponenten integriert.

 

Win-Win-Win

Alle Beteiligten gewinnen dabei:

  • Die Maschinen- und Anlagenbauer erhalten als primäre Nutzer der Simulationsplattform deutlich mehr Anwendungsmöglichkeiten.
  • Die Komponentenlieferanten steigern die Servicefreundlichkeit gegenüber ihren Kunden, und als Mitnutzer des Simulationssystems verbessern sie ihre Qualitätssicherung.
  • Der Anbieter der Simulationsplattform eröffnet seinen Kunden einen deutlichen Mehrwert gegenüber einem einzelnen Simulationssystem.

Die folgenden fünf Beispiele zeigen die vielfältigen Wege, auf denen eine Integrationsplattform mit mitwachsender Virtuelle-Komponenten-Bibliothek die Komponenten- und Anlagenbauer unterstützt.

 

Schneller, kostengünstiger, innovationsfreudiger

1. Vorhandenes nutzen

Die virtuellen Maschinen und Anlagen sind modular aufgebaut. Die kleinste Einheit ist die Komponente. Einmal in der Bibliothek abgelegt, lässt sie sich immer wieder neu verwenden – und das von jedem Unternehmen, das mit der Simulationsplattform arbeitet. Der Aufwand, das Bauteil zu digitalisieren, fällt nur ein einziges Mal an. Es ist zu erwarten, dass innerhalb der Nutzergemeinschaft jedes Unternehmen gelegentlich selbst liefert und gelegentlich von der Vorarbeit der anderen profitiert.

 

2. Für kleine und große Innovationen aus dem Vollen schöpfen

Entwicklungsarbeit ist zeit- und kostenintensiv, sie bindet Ressourcen. Insbesondere der Mittelstand legt den Schwerpunkt eher darauf, bewährte Technik weiter zu optimieren, als technologisch völlig neue Wege zu gehen. Wenn aber die FuE-Abteilung sicher und mit relativ geringem Aufwand mit Komponenten experimentieren kann, die bis dato im Unternehmen nicht genutzt wurden, wird sich daraus manche innovative Neuentwicklung ergeben.

 

3. Sich nur mit der bestmöglichen Alternative zufriedengeben

Wenn es notwendig ist, ein Bauteil oder eine Bauteilgruppe in einer Anlage durch das Produkt eines anderen Herstellers zu ersetzen, etwa weil der bisherige Lieferant nicht mehr zur Verfügung steht, so kann der Maschinenbauer nun alle in der Datenbank vorhandenen Varianten virtuell durchspielen und die technisch beste Lösung mit relativ geringem Aufwand auswählen.

 

4. Standardisierung senkt Kosten

Zunächst wird die Zahl der in der Bibliothek verfügbaren virtuellen Komponenten steigen, je mehr Hersteller die Simulationsplattform nutzen. Es ist allerdings anzunehmen, dass die Maschinen- und Anlagenbauer mittelfristig mehr oder weniger unbewusst einen Trend hin zur Vereinheitlichung von gleichartigen Komponenten in Gang setzen: Man greift bevorzugt auf in der Bibliothek vorhandene Komponenten zurück. Davon profitieren beide Seiten – die Komponentenhersteller und die Anlagenbauer. Schließlich sind standardisierte Bauteile in der Regel technologisch optimiert und kostengünstiger in der Fertigung.

 

5. Automatisierung

Die Digitale-Komponenten-Bibliothek stellt eine entscheidende Grundlage dafür dar, die Testsimulationen künftig voll automatisiert ablaufen zu lassen. Vorab konfiguriert der Bediener mithilfe von Checklisten den Testablauf. Dann zieht das System selbstständig die entsprechenden Datensätze aus der Bibliothek und führt die Rechenprozesse durch. Die Simulation läuft komplett durch, und niemand muss den Folgetest mehr manuell starten.

 

Selbst ist der Lieferant

In der Vergangenheit hat oft der Anbieter der Simulationssoftware für seinen Kunden die virtuellen Anlagenkomponenten erstellt. Mittlerweile übernehmen das viele Komponentenhersteller selbst. Mehr noch: Sie stellen auch selbst ihre digitalen Zwillinge in das Simulationssystem ein und nutzen so für ihre Qualitätssicherung die Prüfmöglichkeiten dieser virtuellen Welt. In der Regel fällt durch die Erstellung des digitalen Zwillings lediglich ein geringer Mehraufwand für sie an, da sie den gleichen Datensatz für die Hardware-Fertigung benötigen.

 

Zahlreiche Unternehmen – sowohl Lieferanten als auch Maschinen- und Anlagenbauer – sind von den Vorteilen einer gemeinsam genutzten Simulationsplattform bereits überzeugt: Sie haben sich in Gesprächen mit dem Autor dazu bekannt und wollen mit Unterstützung der ISG ihre Komponenten, Baugruppen und steuerungsspezifische Tools integrieren. Die Simulationsplattform der ISG Industrielle Steuerungstechnik umfasst derzeit umfangreiche Bibliotheken für beispielsweise Robotersysteme, Antriebstechnik, Fördertechnik, Greifsysteme und Sensorik.

 

Einsatzszenarien für die Simulation mit digitalen Zwillingen

  • Inbetriebnahmen simulieren und die reale IBN bestmöglich vorbereiten
  • Wartungsarbeiten simulieren, um deren Zeitaufwand zu reduzieren
  • das Bedien- und Servicepersonal am virtuellen Zwilling schulen, ohne dafür die Anlage zu blockieren
  • die Komponenten, Komponentengruppen und das Gesamtsystem in allen Phasen der Produktentwicklung digitalen Tests unterziehen und damit sehr frühzeitig Fehler und Schwachstellen finden
  • beim Retrofitting vorhandener Systeme die Konfiguration und IBN simulieren, um die Umrüstzeiten in der Produktion so gering wie möglich zu halten
  • Fehler simulieren, deren Auslösung unter Echtzeitbedingungen zu gefährlich wäre oder das Equipment beschädigen könnte

 

Messbare Erfolge im Maschinen- und Anlagenbau

Wird die Inbetriebnahme der einzelnen Baugruppen und der Gesamtanlage vorab mit ihren digitalen Zwillingen simuliert, lässt sich der Zeitaufwand für die reale IBN erfahrungsgemäß um rund 80 bis 90 Prozent senken. Entwicklungsprojekte – sowohl bei der Produktneuentwicklung als auch beim Redesign vorhandener Maschinen – benötigen 10 bis 30 Prozent weniger Zeit, wenn man die Funktionalität der einzelnen Komponenten und ihr Zusammenspiel als Baugruppe(n) im virtuellen Raum durchspielt und optimiert, bevor es um die Fertigung des Prototypen geht.

 

Autor: Dr. Christian Daniel, Business Manager Simulation Technology bei der ISG Industrielle Steuerungstechnik GmbH (www.isg-stuttgart.de)